Über mich

Ich bin 1982 auf die Welt gekommen, gesund und munter. Meine ersten paar Lebensjahre waren frei von jeglichen Sorgen. Im Alter von ca. 9 Jahren hatte ich sehr oft Bauchkrämpfe, welche einfach so aus dem Nichts herauskamen. Natürlich waren wir damit beim Arzt, sogar mehrmals, jedoch hat man nichts gefunden und mich mit einfachen Verdauungsproblemen wieder nach Hause geschickt.

In der Pubertät hatte ich ziemliche Probleme mit Schwindel, jedoch wurde auch da nie eine Ursache gefunden. Trotz diesen Symptomen habe ich gelebt wie alle anderen, war eine durchschnittliche Schülerin und habe dann eine Lehre als Kauffrau abgeschlossen.

In meiner Freizeit habe ich mich meiner grossen Leidenschaft gewidmet: dem Tanz. Bis zu 6 Stunden Training pro Woche und zudem durfte ich Kinderkurse leiten. Das war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben, die ich zum Glück sehr intensiv ausgekostet habe.

Im Alter von etwa 20 Jahren habe ich das erste Mal gemerkt, dass mit meinem Gehör etwas nicht stimmt. Auffällig war es vor Allem in lauter Umgebung. Also wenn Musik im Hintergrund war, konnte ich auf einmal nicht mehr verstehen was gesprochen wurde. Der Arzt wies darauf hin, dass dies durchaus von der lauten Musik kommen könnte, denn ich hatte auch einen Tinnitus.

Je mehr Zeit vergangen war, umso schlechter wurde mein Gehör. Man schickte mich zu vielen verschiedenen Tests, aber ernstgenommen wurde ich nirgends. Ich bekam immer wie grössere Mühe beim Tanzen… denn ich hörte zwar die Musik, aber nicht mehr die einzelnen Instrumente. Was in meinem Hirn ankam, war einfach nur noch Lärm. Ich hörte die Menschen sprechen, jedoch habe ich sie nicht mehr verstanden. Mir war ziemlich früh klar, dass dies nicht an meinem Gehör liegt, sondern an meinem Gehirn. Doch auch das konnte man in den ganzen Tests nicht so richtig beweisen und somit wurde ich ohne jegliche Hilfe immer wieder nach Hause geschickt.

Das war auch psychisch eine sehr schwere Zeit. Zu merken, dass etwas mit einem nicht stimmt. Und keiner weiss was los ist, und vor Allem legt sich keiner ins Zeug um es herauszufinden. Selbstverständlich wurde mir auch gesagt, dass es psychische Hintergründe haben könnte und ich einfach nicht mehr hören WOLLTE. Ich glaube es gibt nichts, was ich nicht gehört habe. Und fast nichts, was ich nicht ausprobiert habe.

So verging die Zeit, teilweise habe ich wieder versucht zu kämpfen und teilweise hatte ich es einfach aufgegeben. Eines Tages dann, es war mitten im Sommer, habe ich eine grässliche Grippe eingefangen. Die Augen waren zugeschwollen, die Nase lief ununterbrochen und der Husten war entsetzlich. Zwei Wochen lang lag ich völlig flach. Nach dieser Grippe war nichts mehr wie zuvor.

Die Atmung konnte sich irgendwie nicht mehr richtig erholen. Spazieren und sprechen gleichzeitig wurde ein Ding der Unmöglichkeit. Selbstverständlich wurde dies vom Lungenarzt auf das Rauchen zurückgeführt. Mein Gang glich immer wie mehr dem eines Betrunkenen; was natürlich auf den Hörverlust zurückgeführt wurde. Es schien irgendwie alles aus dem Ruder zu laufen. Ausschlaggebend für mich war der Moment, als ich Ende Herbst das Gleichgewicht verlor und in einen kleinen Bach stürzte. Das hätte ganz dumm ausgehen können. Von nun an würde ich mir nichts mehr sagen lassen und die Signale meines Körpers ernst nehmen.

Nach langem Kämpfen und mit der Unterstützung meiner Eltern hatten wir es dann geschafft, mich stationär ins Inselspital einzuweisen. Ich hatte mir vorgenommen, dort nicht mehr wegzugehen, bis ich wusste was los war. Gesagt, getan. Es dauerte 2 Monate. Ich war sicher 8 Mal in der Röhre, hatte Untersuchungen, an die ich wirklich nicht mehr zurück denken möchte. Doch dann kam der grosse Tag.

Der Tag meiner Diagnose. Brown-Vialetto-VonLaere-Syndrom. Eine neurodegenerative Erkrankung, die extrem selten ist. Man sagte mir, es gäbe weltweit 5 bekannte Fälle, die Lebenserwartung nach der Diagnose liege bei ca. 10 Jahren. Es gäbe weder Therapie noch Forschung. Man habe keine Ahnung was noch auf mich zukommen werde. Das Einzige was man mir geben konnte, war hochdosiertes Vitamin B2, da genau dieses mein Körper so schlecht aufnehmen kann.

Es war ein Gefühl von Ohnmacht. Hatte ich es doch die ganze Zeit gewusst und keiner hatte mir geglaubt. Ich war so unglaublich wütend auf diese ganze Welt! Und hilflos.

Wie es bei Nervenerkrankungen üblich ist, machte man mit mir eine Cortison-Therapie. Ich hatte so unendlich viele Nebenwirkungen davon, eine war, dass ich kaum mehr sprechen und schlucken konnte. Innert kürzester Zeit habe ich soviel an Gewicht verloren, dass man mir eine dauerhafte Magensonde gestochen hat. Für mich war da klar, dass das jetzt der Anfang vom Ende ist. Nach der Therapie versuchte man noch, mit einer Immunglobuline-Therapie etwas zu verbessern. Ich fühlte mich so hundeelend, ich kann heute nicht mehr sagen, ob es tatsächlich etwas bewirkt hat damals. Meine Moral war am Boden. Ich wusste, mein aktueller Zustand würde der Beste meines restlichen Lebens sein. Und ich fühlte mich todkrank.

Als ich dann aus dem Spital entlassen wurde, suchte ich mir eine Neurologin aus meiner Stadt. Sie hat mir unheimlich geholfen und ist immer für mich da. Da ich kaum mehr laufen konnte, organisierten meine Eltern einen Elektroscooter für mich. Ich versuchte, mit extrem kleinen Schrittchen, meinen Alltag so zu organisieren, dass ich alle Ärzte in meiner Umgebung hatte.

Jeden Tag musste ich mich aufraffen und mit meinem Hund eine Runde rausgehen. Ich denke, meine Hündin hat den grössten Teil dazu beigetragen, dass es mir heute viel besser geht. Nicht, weil ich weniger Symptome habe, sondern weil ich gelernt habe mit ihnen umzugehen und mir da Hilfe zu holen, wo ich sie brauche.

5 Jahre nach meiner Diagnose habe ich mich zurück ins Leben gekämpft. Es ist alles andere als einfach, ich schlage mich mit immer neuen Herausforderungen herum. Aber das Universum hat mir Menschen geschickt, die mir guttun und die für mich da sind. Dank all dem kann ich heute sagen: Ich liebe mein Leben, auch mit all den Baustellen.

Inzwischen gibt es weltweit «schon» ca. 80 bekannte Fälle und ich stehe in engem Kontakt zu ihnen. Sie alle sind mir eine unheimliche Unterstützung. Ich bin zuversichtlich, dass wir zusammen stark sind und etwas erreichen können!